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Not macht erfinderisch

Meldung

23.07.2020: Not macht erfinderisch

Geschäfte in der Coronakrise

Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis erleben in den vergangenen Monaten die schwerste Wirtschaftskrise seit 1945. Viele kleine und mittelständische Unternehmen stehen am Rande des Ruins. Und dennoch haben sich einige auf den Weg gemacht, neue Ideen umgesetzt und der Krise die Stirn geboten.
Stellen Sie sich vor, Sie verdienen seit zehn Jahren Ihr Geld mit der Organisation von Veranstaltungen und Team-Events. Die Geschäfte laufen gut, mittlerweile besteht das eigene Team aus sechs Leuten. Und dann kommt die Corona-Krise. Markus Lennackers aus Bonn ist genau das passiert.

Mitte März, als klar war, dass diese Krise uns alle noch einige Zeit begleiten wird, hat er sein Team versammelt. Alle haben ihre Ideen zusammengetragen. Und es war klar, dass sie den Raum erst dann wieder verlassen, wenn sie eine Lösung gefunden haben, so Lennackers. „Eins wollte ich mir am Ende der Krise unbedingt mit „ja“ beantworten: Habe ich alles dafür getan, um meine Firma, unsere Vision und meine Familie zu schützen und zu retten?“.

Statt Schnitzeljagd, Seifenkistenrennen und große Veranstaltungen gibt es nun digitale Mitmach-Shows zu drei Themen: Wissen, Casino und TV-Klassiker. Markus Lennackers hat die Umstellung auf Digital-Events am Anfang ziemliche Bauchschmerzen bereitet. Darin hatte er bis dato keine Erfahrung – und musste in der Krise Geld in die Hand nehmen, um gutes Equipment und passgenaue Unterstützung zu bekommen. Kameras und Mikrofone waren Mitte März natürlich heiß begehrt, online war kaum mehr etwas zu finden. So hat das Team in kleinen Elektronik-Läden recherchiert und ist teils weit gefahren.

Lennackers wusste, dass Schnelligkeit in dieser Situation wichtig ist. Nach einem einleitenden Workshop gab es die ersten Testläufe mit Freunden und Familie. Der operative Ablauf der Online-Shows musste perfekt werden. Parallel hat das Marketing-Team die Website optimiert, alle Marketinghebel in Bewegung gesetzt und bei Social Media alle Register gezogen, um in kürzester Zeit maximale Reichweite zu erlangen. Dafür hat Lennackers einen neuen Mitarbeiter eingestellt.

Corona war die beste Fortbildung

Heute ist Lennackers stolz, dass „Unsere Schnitzeljagd“ das erste Unternehmen deutschlandweit mit einem solchen Format war. Die Buchungszahlen seien überragend, und es gebe sogar erste Anfragen aus Dubai und Sao Paolo, sodass die Formate nun auch auf Englisch laufen. „Für mich ist Corona wirklich ein Geschenk gewesen und wahrscheinlich die beste Fortbildung, die ich je besucht habe“, sagt Lennackers heute.

Auch zwei Unternehmer-Netzwerke, mit denen er regelmäßig konferiert hat, haben sich als sehr wohltuend und nützlich erwiesen. Die Online-Formate möchte er auch nach Corona weiter anbieten. Denn so erschließt sich das Unternehmen neue Kundenkreise, und die Produktivität des Teams kann deutlich gesteigert werden.

Online-Marketing und mehr Aktivität auf den Social Media-Kanälen haben auch andere Unternehmen genutzt, um in der Krise zu bestehen: Mahabir Singh, der Geschäftsführer des „Bistro Eselchen“ in Bonn-Duisdorf, freut sich, dass er sein Weinlokal keinen einzigen Tag schließen musste.

Aber der Weg war hart: Als am 18. März klar war, dass es einen Shutdown für die Gastronomie geben würde, holte er sich sofort die Agentur Vismagine ins Boot. Noch in der Nacht entstand ein neues Konzept für den Betrieb und seine Vermarktung. Was wann erlaubt oder auch nicht erlaubt war, hat Singh auf der Website der IHK Bonn/Rhein-Sieg erfahren.

Am 19. März öffnete das „Eselchen“ von 11 bis 15 Uhr. Die Kunden konnten das Essen abholen und auch Flaschenweine kaufen. Die entsprechenden sympathisch aufbereiteten Infos bekamen sie über Facebook.

Rund 100 Stammkunden waren seitdem regelmäßig da, haben vorher telefonisch gebucht und mussten kaum warten, so Singh. „Die Solidarität war ein sehr gutes Gefühl. Da bekomme ich heute noch Gänsehaut.“ Viele schenkten ihm zum Dank für sein Engagement Pralinen und Blumen, manche schrieben kleine Freundschafts-Botschaften in Herzform.

Als Mahabir Singh davon erzählt, ist ihm seine Ergriffenheit deutlich anzusehen. Ob er mit der Agentur weiter zusammenarbeitet? Natürlich! Die haben das toll gemacht und sollen auf jeden Fall auch selbst weiterhin etwas davon haben.

Auch für das Hotel Kluth direkt über dem „Eselchen“ hatte das neu entstandene Team eine gute Idee: Zwei Zimmer vermietet Inhaber Mahabir Singh nun als Homeoffice. Der Umbau war schnell gemacht: Betten raus, Schreibtische rein, dazu noch ein sicheres W-LAN-Netz. Die Kunden freuen sich über eine Flatrate für Kaffee und Wasser und natürlich über ein gutes Mittagessen aus dem „Eselchen“.

Persönliche Modeberatung über Facetime

Auch Anja Solscheid vom Modeladen „Fashion Invito“ in Bonn-Duisdorf hat ihre Kunden über Facebook erreicht. Nachdem der erste Schock über die Schließung verdaut war, dachte sie zuerst über einen Online-Shop nach. Den digital zu gestalten, hätte allerdings mindestens 600 Euro gekostet und wäre auf die Schnelle schwierig geworden.

Stattdessen hat sie ihre Aktivitäten auf Facebook so ausgeweitet, dass sie ihren Kundinnen fast jeden Tag ein neues Outfit präsentiert hat, was von diesen fleißig geteilt und kommentiert wurde. Auch das Angebot, dass sie ein Auswahlpaket mit verschiedenen Größen vorbeibringt, haben einige angenommen.

Eine Frau hat sie per Facetime digital durch den Laden geführt, mit viel Zeit für die digitale Styling-Beratung. Mit anderen kam sie ins Gespräch, als sie alle zwei bis drei Tage das Schaufenster neu dekorierte.

„Wir sind seit 22 Jahren hier und haben natürlich gewisse Rücklagen. Aber ich war trotzdem sehr froh, dass einige Lieferanten netterweise meine Bestellungen für März storniert haben.“ Einen zweiten Shutdown dürfe es nicht geben, so Solscheid weiter. Das wäre für die Wirtschaft fatal. Über den Online-Shop denkt sie nun trotzdem weiter nach. „Meine Kundinnen sind mit mir groß geworden, aber die Jungen kaufen online.“

Den lokalen Handel stärken, das hat die IHK Bonn/Rhein-Sieg in den vergangenen mit mehreren Maßnahmen unterstützt: Natürlich haben die Experten der verschiedenen Fachbereiche die Unternehmer*innen telefonisch, per Mail und mit stets aktualisierten Hin-weisen auf der Homepage beraten (siehe dazu auch unser Interview).

Um zielführende Lobbyarbeit machen zu können, sind aber auch alle Netzwerke vor Ort noch näher zusammengerückt: IHK, Wirtschaftsförderung, Einzelhandelsverband und City-Marketing. IHK-Pressesprecher Michael Pieck begrüßt diese Entwicklung: „Mit dem Slogan „Bleib stark, kauf vor Ort“ werben wir für lebendige Innenstädte. An der Bonner Friedrichstraße sieht man, wie gut solche Konzepte sein können. Service, Beratung und den Flair vor Ort kann man im Internet eben durch nichts ersetzen. Ein zusätzlicher Online-Handel macht die Unternehmen dennoch unabhängiger.“

Erste Versuche, eine regionale Online-Plattform zu etablieren, haben zwar nicht funktioniert. Aber auf der Website „Lokal wirkt“ können Kunden Läden aller Branchen in ihrer Nähe finden. Und die Bonner Facebook-Gruppe „Support your local business“ erfreut sich stark steigender Mitglieder-Zahlen.

Und Danke an den UPS-Fahrer

Einen Online-Shop hatte das Weingut Pieper aus Königswinter schon vor der Corona-Krise. Die geschäftlichen Einbrüche waren trotzdem stark zu spüren, als im Frühling, wenn eigentlich die Saison beginnt, Gastronomie, Hotellerie und Veranstaltungen wegbrachen. Felix Pieper hat sich daher mit den Machern von „Lieblingsburger“ zusammengetan. Jeden Sonntag gab es direkt am Weinberg Burger und gekühlten Wein. Die Kunden nahmen die Leckereien entweder mit nach Hause oder sie setzten sich – natürlich in gebührendem Abstand zueinander – in den Weinberg und genossen die Aussicht.

Wirtschaftlich habe sich das nicht unbedingt gelohnt, so Pieper. „Aber mir war es wichtig, im Kopf der Leute zu bleiben.“ Und so gab es fast jeden Tag eine Mitteilung auf Facebook mit schönen Fotos: Ob nun der neue Sekt angekommen ist, eine bestimmte Weinsorte Geburtstag hatte oder einfach mal ein Dank an „den tapferen UPS-Fahrer“ nötig war. Immer gepaart mit speziellen Angeboten, die vor Ort oder auch im Online-Shop erhältlich waren.

Dass viele Unternehmer*innen in der Region der Krise mit guten Einfällen trotzen, überrascht Michael Pieck nicht. Der Pressesprecher der IHK Bonn/Rhein-Sieg hat seit 2012 rund 40 sogenannte Ideenbörsen veranstaltet. Anfangs richtete sich das Format nur an Gründer*innen, später auch an etablierte Unternehmen. Es geht um Arbeits- und Führungsmethoden, Lieferketten und Nachhaltigkeit, Produktion und Digitalisierung.

Zehn Minuten darf jeder seine neue Idee vorstellen. Dabei kann jeder von jedem profitieren; die Teilnehmer*innen gehen mit neuen Anregungen nach Hause, und sie haben Rückmeldungen zu ihren eigenen Geschäftskonzepten bekommen. So entsteht unter den Selbstständigen in der Region ein starkes Netzwerk. Im Herbst widmet sich die neueste Ausgabe des Formats selbstverständlich dem Umgang mit der aktuellen Wirtschaftskrise: Wie gehen die Unternehmer*innen damit um? Was haben sie gelernt?

Für die Open Air-Konzerte der verschiedenen Spielstätten wie der Hofgartenwiese, dem Kunst!Rasen, der Insel Grafenwerth in Bad Honnef oder dem Roncalliplatz in Köln gab es in Corona-Zeiten keine passende Lösung: Großveranstaltungen, da kann man es drehen und wenden wie man will, finden bis auf weiteres nicht statt. Dennoch ist Ernst-Ludwig Hartz mit seiner Firma ELH Promotion, die die Konzerte organisiert, mittlerweile mit der Krise versöhnt.

Fast alle Open Air-Konzerte der vier schönen Plätze konnte er auf den Sommer 2021 verschieben, ebenso wie 17 Club-Konzerte, zum Beispiel in der Bonner „Harmonie“ oder der „Kantine“ in Köln. Über die Homepage und vor allem über Facebook, hat ELH Pro-motion die Ticketinhaber*innen auf dem Laufenden gehalten. „Ich kann mich nur bei den Kartenkäufern bedanken“, sagt er, „dass sie so viel Geduld haben und ein Großteil auch die Karten für nächstes Jahr behält.“

Erster Sommerurlaub seit 30 Jahren

Was Hartz ärgert, ist die Informationspolitik von Land und Bund: Erst Mitte April war für NRW klar, dass bis zum 31. August keine Großveranstaltungen stattfinden dürfen. Aber die Regelung war zunächst nicht für alle Bundesländer eindeutig. Und was eine Großveranstaltung nun genau ausmache, sei bis heute nicht definiert, so Hartz. Internationale Künstler könnten so nicht planen. Aber die Branche sei halt nicht systemrelevant und werde in der Politik nicht geachtet.

Er nimmt sich nun zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren ein paar Wochen Urlaub und fährt weg. In ein kleines nettes Häuschen mit Garten, ein paar Minuten vom See entfernt. Wo, wird nicht verraten. Und er hofft inständig, dass die Freelancer für Ton, Licht, Catering, Bühnenbau und Außenwerbung die Krise überstehen, damit sie bald wieder zusammen die Säle füllen können.

Als systemrelevant stellten sich zwei ganz andere Unternehmen heraus, und entsprechend haben sie im Moment Kontakte „nach ganz oben“, zu den Bundesministerien für Gesundheit und Wirtschaft. Die Firma Innovatec Microfibre Technology aus Troisdorf produziert unter anderem medizinisches Vlies im so genannten Meltblown-Verfahren, das in der Corona-Krise wohl meistgefragte Produkt weltweit. Die einzelnen Fäden sind etwa siebzig Mal dünner als ein Haar und werden in bis zu 500 Lagen verwoben.

Für dieses zertifizierte Vlies ist Innovatec der größte Hersteller in Europa. Die rund 100 Mitarbeiter arbeiten im Dreischicht-System. Bereits jetzt geht eine Anlage in Betrieb, die das Unternehmen Anfang 2019 geplant hat. Die Bundesregierung fördert zudem die Investition in zwei neue Anlagen mit 30 Prozent. Deshalb plant die Firma noch weitere Produktionslinien zu kaufen.

Vlies- und Maskenproduktion für Deutschland

Ab dem Sommer liefert Innovatec auch zum ersten Mal nach Deutschland, da die Bundesregierung darauf abzielt, in puncto Masken unabhängig zu werden. Bisher gab es hier keinen einzigen Maskenproduzenten. Im März durften 50 Unternehmen, die sich in dieser Branche versuchen wollen, bei der Regierung ein Angebot abgeben. Nun ist es an Innovatec, sich die passenden Partner auszusuchen.

Inhaber Christian Klöber schätzt, dass das eigene Unternehmen nun um 25 Prozent wachsen wird. „Wir haben bis Ende 2021 gesicherte Abnahmen für die Anlagen. Allerdings müssen wir das, was wir in den kommen-den drei Jahren vorhatten, nun in einem Jahr schaffen.“ Geschäftsführer Daniel Krumme ist sich sicher: „Die Nachfrage nach dem Meltblown-Vlies wird sich auch auf die Zeit nach Corona auswirken. Für Qualitätsmasken ‚Made in Germany‘ sehen wir langfristiges Potenzial.“

Auch die Reifenhäuser Gruppe in Troisdorf mit ihren rund 1.600 Mitarbeiter*innen ist im Moment weltweit gefragt: Dort nämlich werden die Anlagen gebaut, die das Meltblown-Vlies herstellen können, den Stoff also, der die Atemschutzmasken sicher macht. Noch im vergangenen Jahr ging es der Branche konjunkturbedingt schlecht, so dass der Betrieb vor der Entscheidung stand, Kurzarbeit anzumelden.

Das ist nun vom Tisch. Zum einen finden die Maschinen des Weltmarktführers aus Troisdorf reißenden Absatz in aller Welt. Zum anderen hat die Firma ihre Versuchsanlage auf Produktion umgestellt. So produziert auch Reifenhäuser täglich medizinischen Vlies-Stoff für rund eine Million Masken. Viele Mitarbeiter sind mittlerweile im Drei-Schicht-Betrieb beschäftigt.

Verzweifelte Anrufer

Schon Mitte Februar stand das Telefon nicht mehr still: Verzweifelt fragten große und kleine Masken-produzenten und Gesundheitsbehörden aller Ebenen nach dem Meltblown-Vlies. Ohne diese Zutat bekommt der Mund-Nasen-Schutz kein Sicherheits-Zertifikat. Bernd Reifenhäuser, dem vorsitzenden Geschäftsführer der Unternehmens-Gruppe, war es wichtig, dass das Vlies im Land blieb – und nicht etwa nach Asien exportiert wurde.

So entschied er sich, es an das Fight-Covid-19-Konsortium zu liefern. Das ist ein Zusammenschluss von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Atemschutzmasken produzieren. Begleitet wird die Gruppe vom Land Baden-Württemberg. Einen weiteren Teil des begehrten Vlieses hat Reifenhäuser der Stadt Troisdorf und verschiedenen caritativen Einrichtungen gestiftet, die Masken in ehrenamtlicher Arbeit produzieren.

Auch Reifenhäuser liefert seine Maschinen nun erstmals an deutsche Firmen, nach Süddeutschland, aber auch nach NRW. Das Unternehmen unterstützt die Regierung in ihrem Ziel, das Land unabhängig zu machen, was Masken und Schutzkleidung betrifft.

Bernd Reifenhäuser sieht darin eine große Chance für seine Unternehmens-Gruppe: „Es macht uns stolz, dass wir helfen können. Und wir können die Kunden, die jetzt in Deutschland neu einsteigen, gut beraten.“ Dass entsprechende Investitionen vom Bund gefördert werden, kommt natürlich auch Reifenhäuser zugute.

Und die Nachfrage nach Vliesmaterial ist nach wie vor groß, denn hochwertige Schutzkleidung kann nur auf qualitativ hochwertigen Anlagen produziert werden. Insofern freut sich Reifenhäuser über eine ungebrochen sehr große Anfragemenge und entsprechende Aufträge, die nun gestemmt werden müssen. Der Start lief schon mal wie geplant: Mitte Juni ging die erste Anlage vom Werksgelände.

Auf Krisen flexibel reagieren

Für die IHK Bonn/Rhein-Sieg sind die Firmen ein perfektes Beispiel dafür, wie flexibel die Unternehmen im Kammerbezirk sind: „Die Industrie hat pragmatisch und handlungsschnell auf die Krise reagiert. Manchen Unternehmen gelang es so, aus der Not eine Tugend zu machen. Dies zeigt auch, wie wichtig und dynamisch die regionale Industrie ist“, sagt Kevin Ehmke, Referent Industrie, Innovation, Umwelt und Energie.

Wenn die ersten von Reifenhäuser gelieferten Meltblown-Anlagen in Deutschland hochgefahren sind, spätestens im Herbst, wird die Versuchsanlage im eigenen Haus wieder zum Alleskönner. Im Moment zeigt sie höchstens 20 Prozent dessen, was sie kann. Es geht im so genannten Technikum nämlich eigentlich darum, neue Vliese und Stoffe zu entwickeln, etwa für Schutzkleidung. „Das ist, als würde man einen Ferrari nur mit 20 Stundenkilometern fahren“, sagt Reifenhäuser und lacht.

Sobald die größte Knappheit an Meltblown gebannt ist, möchte er sich daher wieder seinem Kerngeschäft widmen, dem Bau von Extrusionsanlagen für die Vlies- und Folienherstellung. Ob die maschinelle Maskenproduktion in Deutschland mit der in China konkurrieren kann?

Ja, davon ist er überzeugt. Weil hier die besseren Anlagen gebaut werden. „In China kann eine Maschine pro Minute rund 150 Masken komplett herstellen. Wenn hier bei uns durch bessere Konstruktionen 500 Masken pro Minute produziert und dann auch noch vollautomatisch verpackt wer-den können, kann man die niedrigen Lohnkosten in Asien wettmachen.“

Marktplatz Gute Geschäfte Bonn/Rhein-Sieg

So wie Bernd Reifenhäuser, der das begehrte Meltblown-Vlies an caritative Einrichtungen spendet, werden viele Unternehmen auch in den vergangenen Monaten ihrer sozialen Verantwortung gerecht. Um sie miteinander und mit anderen Organisationen der Region zu vernetzen und einige von ihnen auszuzeichnen, hat die IHK Bonn/Rhein-Sieg vor mehr als zehn Jahren den „Marktplatz Gute Geschäfte“ ins Leben gerufen. Kleine und mittelständische Firmen gehen hier Kooperationen mit gemeinnützigen Organisationen ein.

Für die Nutznießer sind die Aktionen wunderbare Geschenke, für die Unternehmer*innen eine exzellente Werbung. So hat in den vergangenen Jahren zum Beispiel eine Immobilien-Unternehmerin Wohnungen für behinderte Menschen gesucht, ein Maler die Räume eines Kindergartens neu gestrichen und eine Tanzschule Kurse für Demenz-Kranke angeboten. Auch im kommenden Jahr soll wieder ein Unternehmen für seine „Corporate Social Responsibility“ (csr) ausgezeichnet werden, die Abstimmung läuft ab sofort unter www.ihk-bonn.de | Webcode @551. Die Entscheidung wird am 24. September kommenden Jahres verkündet.

Konkurrenzfähig bleiben: Darum geht es in Firmen jeglicher Größenordnung. Dalia Hasan hat Green Textile Solutions 2017 gegründet. Ihre Marke steht, die Lieferkette auch, Website und Visitenkarten sind fertig. Zahllose Gespräche hat sie geführt, die ersten Kunden wollten bereits bestellen.

Und dann kam Corona. Krankenhäuser und Pflegeheime sind ihre Hauptkunden, denn Dalia Hasan bietet nachhaltige Textilien und Berufskleidung an. Die sind angenehm zu tragen, reduzieren den globalen CO2-Ausstoß und geben beim Waschen keine Mikroplastik-Teile ins Wasser ab. Die Fasern entwickelt Dalia Hasan aus ihrem Bonner Büro.

Soloselbständige sucht neue Wege

In ihrer Wohnung steht neben einem kleinen arabisch anmutenden Schreibtisch eine Kleiderstange mit Mustern von Polo-Shirts und Kitteln. Und tatsächlich: Sie fassen sich sehr angenehm an. Lange hat sie recherchiert und in Instituten testen lassen, welche Faser das zurzeit viel genutzte Polyester ersetzen könnte. Der Stoff muss ja nicht nur angenehm auf der Haut sein, sondern sich auch schnell waschen und trocknen lassen. Nur so sind auch die Wäschereien zu überzeugen.

Dalia Hasans Lösung: Baumzellulose, die schützt gleichzeitig vor Bakterienaufnahme. Hergestellt werden die Stoffe dann in indischen Nähereien, die Hasan auf langen Recherche-Reisen selbst besucht und ausgesucht hat. Entlang der gesamten Lieferkette garantiert sie Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen.

Durch die Corona-Krise ist Berufskleidung in Krankenhäusern und Pflegeheimen natürlich in der Prioritätenliste weit nach unten gerutscht. Dennoch führt Dalia Hasan auch weiterhin Gespräche, verschickt Kleiderproben und vergrößert ihr Netzwerk.

Zwischendurch hat sie Masken herstellen lassen, aber durch die Reduzierung des Luftverkehrs ist Luftfracht so teuer geworden, dass sich der Vertrieb der Masken nicht rentiert. „Trotzdem sehe ich das recht positiv“, sagt sie heute. „Ich konnte viele neue Kontakte machen und profitiere auch von verschiedenen Online-Plattformen, die es vorher nicht gab. So sind neue Kooperationen entstanden.“

Regina Rosenstock, bei der IHK Bonn/Rhein-Sieg die Gesamtbereichsleiterin Unternehmensförderung, ist beeindruckt von derartigen Unternehmer*innen-Persönlichkeiten: „Gründende wie Frau Hasan sind in der Coronakrise vor besondere Herausforderungen gestellt worden. Sie konnte noch keine finanziellen Rücklagen bilden und musste sich schnell und flexibel an die neuen Bedingungen anpassen. Schön zu sehen ist, dass sie aber nicht aufgeben und trotz Rückschläge ihre Ziele weiter verfolgen.“

Für Dalia Hasan ist die Krise eine Chance. Nun überlegt sie, ganz neue Zielgruppen anzusprechen, zum Beispiel Pharmakonzerne. Denn schließlich wird auch dort nachhaltige und hochwertige Berufskleidung gebraucht.

Mit dem Auto ins Kino

Neue Wege ist auch Unternehmer Rudi Knorr in Wachtberg gegangen. Sein Kulturzentrum „Drehwerk 1719“ bietet normalerweise ein kleines Kino, eine Bühne für Comedy und ein Bistro mit mediterraner Küche. Mitte März musste er alles komplett dicht machen.

Für den Unternehmer ein Tiefschlag, auch wenn die Soforthilfe des Landes schnell kam und den Weiterbestand des Unternehmens sicherte, auch für sein zweites Unternehmen: eine Agentur für Kinowerbung. Auch der Antrag auf Kurzarbeitergeld für die zehn Angestellten ging schnell durch.

„Am Anfang war es schlimm“, erinnert sich Knorr. „Da sind meine Frau und ich täglich zehn Kilometer gewandert und ich habe zehn Puzzles mit je 1.000 Teilen gemacht. Wir wollen nächstes Jahr in Rente gehen, da war das jetzt wie Üben. Aber keine Leute besuchen zu können, das war schon schwierig.“

Am ersten April kam sein Sohn, sonst Koch im Bistro, mit der Idee, in Rheinbach ein Autokino zu eröffnen. Rudi Knorr hielt das für einen Scherz. Das Autokino in Köln-Porz hatte gerade geschlossen. Aber als er einige Tage später von einem neu eröffneten Autokino in Marl hörte, fragte er nach, wie der Sohn sich das vorstelle. Der hatte da schon ein Grundstück im benachbarten Rheinbach ins Auge gefasst und erste Gespräche geführt.

Knorr stieg in die Planung ein, und kurze Zeit später konnte er das Autokino in Rheinbach starten, zusammen mit zwei ihm nahestehenden Unternehmen: der Wo-Tec Veranstaltungstechnik in Rheinbach und der Moving Movies aus Münster.

Der Filmverleih hat mitgespielt und Sonderkonditionen geboten. 90 Autos passten pro Vorstellung auf das Gelände, Karten und Snackpakete konnte man im Vorfeld online bestellen und kontaktlos bezahlen.

Sowohl mit der Nachfrage als auch mit der Resonanz auf sein Autokino ist Unternehmer Knorr sehr zufrieden. „Wir haben gemerkt, wir fehlen den Leuten. Viele haben außerdem online Gutscheine fürs Drehwerk-Kino in Wachtberg gekauft. Einige haben uns sogar Geld gespendet.“ Den regionalen Zusammenhalt, da ist Rudi Knorr sicher, hat Corona auf jeden Fall gestärkt. Und er hofft, dass dieser Effekt noch lange anhält.

Zündende Idee kam beim Spaziergang

Ganz in der Nähe, ebenfalls in Wachtberg, ist Sebastian Simons von solchen regionalen Zusammenhängen meilenweit entfernt, zumindest beruflich. Als Geschäftsführer einer Firma für Messebau und Veranstaltungstechnik denkt er in globalen Maßstäben. Und die hat Corona nachhaltig verändert: Großveranstaltungen finden nicht statt, der Flugverkehr ist drastisch eingeschränkt.

Wie und wann man in diesen Branchen weiterplanen kann, steht in den Sternen. Sein festes Team ist klein, und die Soforthilfe hat auch bei ihm Schlimmeres abgewendet. So machte er sich Gedanken um die Zukunft. Bei einem Spaziergang durch den Wald kam ihm die Idee, wie er mit seinem Wissen in Zukunft Großveranstaltungen sicherer machen kann. Das Baukastensystem, das er dann entwickelt hat, ist bisher einmalig.

Die so genannte S-Box wird als Raum den Großveranstaltungen vorgeschaltet, je nach Firma individuell gebrandet. Hier konnte Simons seine Fähigkeiten in Messebau und Technik einsetzen: Die Menschen, die hineingehen, werden von people-counter-Kameras gezählt und von Wärmebildkameras gescannt, die auf Temperaturen zwischen 30 und 45 Grad spezialisiert sind.

Gespeichert werden die Daten nicht. Wer mit erhöhter Temperatur erfasst wird, muss sich erst einmal in ein Corona-Testzentrum begeben. Mit diesem möglichen Symptom für das Virus haben sie zu Großveranstaltungen keinen Zutritt. Die Wege der Menschen sind durch die Bauweise der Box klar vorgegeben. Für die Besucher der Großveranstaltungen wird durch den Scan am Eingang das Sicherheitsgefühl erhöht.

Die Nachfrage nach der S-Box ist enorm, so Sebastian Simons. Von September bis in den Januar hinein gibt es schon viele Buchungen. Echte Planungssicherheit für die Großveranstaltungen gibt es allerdings noch nicht. Er hofft möglichst bald auf klare Entscheidungen, damit die Veranstalter und auch seine Firma die nächsten Monate in Angriff nehmen können.

„Der Umsatz von Simons Works wird sich durch die S-Box mindestens verdoppeln, wenn nicht verdreifachen“, schätzt er. „Aber es kann ja sein, dass der Gesetzgeber in einigen Wochen wieder ganz neue Regeln aufstellt. Das macht es unternehmerisch sehr schwierig.“ Echte Sorgen habe er aber nicht. Es gebe immer Phasen, wo man den Kopf in den Sand steckt. Aber dann heißt es: Aufstehen, Krone richten, weitermachen.
Marion Theisen, freie Journalistin, Bonn

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